Antworten
- Aramis Freiherr von Maltzahn
- 29. Apr.
- 5 Min. Lesezeit
Ihr Lieben,
mich haben Fragen zu meinem Buch erreicht. Sie dringen tief in meinen Schreibprozess und die BLAUPAUSE ein. Darum möchte ich sie mit Euch teilen.
Beim Lesen deiner Texte habe ich mich oft gefragt, wie viel davon erlebte Wahrheit ist und wie viel poetische Übersetzung. Es wirkt alles so echt, so durchlebt – besonders die Themen Gewalt, Verlust, Tod, Schuld. Das Schreiben scheint dabei nicht nur Ausdruck, sondern ein Überlebensmittel zu sein. Darf ich fragen – hast du diese Dinge wirklich erlebt? Oder fließt in deine Gedichte auch viel Fiktion, vielleicht als Schutz oder als Form, Unerträgliches auszudrücken?
Jeder Text, den ich schreibe hat eine Verbindung zu mir, welche über die Autorenschaft hinausreicht. Wenn ich Gedichte schreibe, die nicht aus meinem Leben stammen, dann betrachte ich sie dennoch durch die Perspektive meines Wesens / Wissens / Glaubens. Es fließen Gefühle oder Erinnerungen mit ein, die ich erfahren habe. So verwebe ich selbst in Texten aus anderen Blickwinkeln mich selbst ein. Hinzu kommen noch unterbewusste Motive, die sich durch meine Kunst ziehen. Beides lässt sich, so denke ich, nicht verhindern. Das Medium entscheidet grundlegend, wie Erzähltes wahrgenommen wird. Sieben Menschen würden dieselbe Geschichte auf sieben unterschiedlichen Weisen erzählen. Als Autor finde ich diese "persönliche Note" erstrebenswert.
Ich verfahre so, weil ich schreibe, was ich kenne. Das bedeutet nicht, dass ich die immergleichen Dinge durchkaue, sondern, dass ich zu unbekannten Dingen meine eigenen Verbindungen ausbaue. Somit ist Alles, was ich geschrieben habe, erlebte Wahrheit.
Manche Dinge sind Metaphern oder Übertragungen, um verständlicher zu machen, wie ich mich gefühlt habe. Allgemein ist die BLAUPAUSE EINER ILLUSION nicht als ein „so ist es geschehen und das ist die universelle Wahrheit“ zu betrachten sondern sollte eher so gelesen werden, dass alles darin meine Gefühle, Gedanken und Ängste sind. Diese sind manchmal nur einseitig beleuchtet oder übertrieben, aber der Kern bleibt: Ich habe mich so gefühlt und darüber muss gesprochen werden.
Tatsächlich ist das Schreiben für mich mehr, als nur Kunst. Es ist zu einem Werkzeug geworden, was mir das Leben erlebbar macht. Es hilft mir, verarbeiten, reflektieren und verstehen zu können. Ich kann nicht mehr ohne, und jedes wichtige Ereignis bekommt mindestens einen Text.
Natürlich fließen dabei auch künstlerische Freiheiten und Fiktionen mit ein. Besonders in der BLAUPAUSE ist das wichtig, da die Zyklen-überblickende Entwicklung, das Erforschen von Lügen ist. Dafür muss es aber auch Lügen geben.
Deine Gedichte lesen sich oft wie Gespräche mit dir selbst – oder mit jemandem, der dich nicht wirklich gesehen hat.
Meine Kunst der letzten Jahre - und auch die BLAUPAUSE EINER ILLUSION - ist oftmals in Form eines Gedankenprozesses arrangiert. Die Texte sind ein großer Gedankenstrang, der in einem Moment startet, sich zu einem Klimax entwickelt und zu einem Ende deeskaliert. Ich habe mich dazu entschieden, die Kunst so zu nehmen, wie sie auf das Papier kommt. Hier und da gibt es Anpassungen, grammatikalische Feinheiten oder Dinge werden entfernt, aber ich habe es mir zum Ziel gesetzt, nicht dauerhaft eine noch perfektere Version meiner Gedanken zu erreichen. Ich denke, das ist mir gelungen.
Diese Struktur ist mal mehr, mal weniger vertreten, aber das Prinzip bleibt. Es ist schlussendlich ein Gespräch in meinem Kopf. Der Empfänger mag sich ändern, aber die Einflüsse bleiben: Erinnerungen, Gefühle und Momente werden mit eingefügt. Ich würde es also nicht als Selbstgespräch sehen (in den meisten Fällen gibt es einen Adressaten, der nicht ich bin), sondern eher als ein Monolog mit alternierendem Empfänger, den ich mit meinen Gedanken fülle. Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier die Regel.
Gibt es für dich einen Unterschied zwischen dem lyrischen Ich und dir selbst?
Die meisten Gedichte sind autobiografisch und somit gibt es ganz klare Überschneidungen des Lyrischen Ichs mit mir. Es ist die Momentaufnahme eines Teils meines Wesens. Aber ich denke, sobald jemand anderes einen Text ließt (oder auch ich in ein paar Jahren) verändert sich das Lyrische Ich. Die Kunst wird immer schlauer sein, als der Künstler und dementsprechend liest jeder etwas anderes aus dem Protagonisten eines Textes und wendet das Lyrische Ich auf das eigene Leben an. Es bleibt nicht gleich, sondern passt sich an die lesende Person an.
Glaubst du, dass Schmerz die stärkste Quelle für Kunst ist – oder eher das, was danach kommt?
Mir wurde mal gesagt, jeder Künstler habe ein Gefühl, auf dass all seine Kunst beruhe, und, dass man alles Geschaffene auf dieses Gefühl zurück schließen könne.
Ich denke, dem ist nicht so. Es gibt für mich nicht nur die eine Quelle für Kunst. Jeder Mensch muss sich seine eigenen Kanäle und Katalysatoren finden. Für mich ist Schmerz – zumindest Momentan - ein guter Brunnen, aus dem ich schöpfen kann. Ich greife aber auch auf viele andere Gefühle zurück. Wut, Trauer, Liebe, Rachelust sind alles wunderbar tiefe Empfindungen, die einiges hergeben.
Und nicht jeder Text wird aus solch einem Gefühl heraus geschrieben. Ich schreibe manchmal, um eine Ästhetik zu bedienen oder ein Wetterphänomen einzufangen. Manchmal habe ich gar keine Ahnung, was ich sagen will und schreibe einfach irgendetwas.
Man muss natürlich argumentieren, dass auch diese Dinge nur Empfindungen sind: Was ist eine Ästhetik anderes, als eine Ansammlung von Gefühlen und das Wetter ist auch nur, was wir durch unsere Sinne wahrnehmen. Schließlich sind auch Dinge, die wir nicht verstehen unterbewusst auf die Wahrnehmung zurückzuführen.
Ich denke aber, dass es falsch ist zu sagen, es gibt die eine festgelegte Quelle der Kunst bei einem Menschen. Ich denke, Kunst entsteht aus der Interpretation von Gefühlen. Klar kann man schreiben, dass man traurig ist, aber die großen Schriftsteller*innen, die ich verehre, schreiben warum sie traurig sind, was das mit ihnen macht, wie sie dagegen vorgehen oder wie sie sich fühlen, weil sie traurig sind.
Ich denke, man kann sagen, dass die Folgen eines Gefühls inspirierender sind, als das Gefühl selbst. Allerdings ist das nur eine momentane Meinung und ich kann mir durchaus vorstellen, bald schon anders darüber zu denken.
Also: nein. Schmerz ist nicht die stärkste Quelle. Aber was aus Schmerz wird ist vielleicht die kraftvollste Inspiration.
Und was gibt dir das Schreiben heute – nachdem du all diese Worte losgelassen hast?
Jetzt, nachdem ich die Texte geschrieben und veröffentlicht habe, nehme ich langsam Abschied von ihnen und dem Menschen, der ich war, als ich sie begonnen habe. Ich werde nicht plötzlich anders sein, und meine neuen Werke nicht auf einmal verwandelt, aber es ist eine Art des Loslassens. In den letzten Monaten vor der Veröffentlichung habe ich gemerkt, wie ich die Last der BLAUPAUSE endlich von meinen Schultern haben wollte. Nun, da ich sie nicht mehr allein stemme, fühle ich mich befreit. Die Zusammenstellung, Überarbeitung und Reflexion meiner Kunst für die BLAUPAUSE EINER ILLUSION hat mir außerdem geholfen, meinen Stil besser zu verstehen. Ich konnte so einiges über die Art, wie ich schreibe lernen und für zukünftige Texte daraus lernen. Ich arbeite momentan an spannenden Dingen und spüre den Einfluss des Buches darin. Die BLAUPAUSE hilft mir, mein Schreiben zu entwickeln.
Die Texte leben für immer in meinem Herzen und ich werde mich noch lange daran erinnern, wie ich „Dein Mädchen liebt Dich“ abends, mit lauter Musik geschrieben habe. Oder wie ich endlich auf den Titel meines Buches an einem verregneten Tag gekommen bin.
Ich gebe meiner Kunst so viel und sie gibt mir so viel, um zu geben. Ich merke, wie ich gewachsen bin und immer mehr zu der Person werde, die ich sein will. Ich denke, mich besser denn je zu kennen, und ich kann es kaum erwarten, mich durch weitere Projekte weiter zu verstehen.
Ich bedanke mich für die spannenden Fragen und wünsche Euch viel Spaß mit den Einblicken
~ Aramis
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