Die Dialektik eines Geburtstages
- Aramis Freiherr von Maltzahn
- 18. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Ich möchte Euch heute zwei Texte vorstellen, die im starken Kontrast zueinander stehen, aber dasselbe Thema behandeln.
Gestern hatte ich Geburtstag und habe die letzten Tage darüber nachgedacht, was ich den eigentlich von diesem Tag erwarte.
Dieselben Gedanken haben mich schon zum Schreiben des ersten Textes "19" getrieben.
Er entstand aus einer Dunklen Zeit mit Ausblick auf hellere Tage und war schon in dieser Version, Wochen bevor ich Geburtstag hatte.
Der zweite Text "Mittwoch" ist ein Jahr später 17.04. entstanden und bedient eine weitaus dunklere Ästhetik. Er beschreibt unerfüllte Erwartungen, übertriebene Gefühle und ihren wahren Kern. Außerdem wurde "Mittwoch" auch in der #Blaupauseeinerillusion, mein eigenes Buch, veröffentlicht.
19
Die schönsten Blumen,
egal, wie lange sie blühen,
müssen welken.
Das heimische Haus,
gefüllt mit Erinnerung,
muss eines Tages leer stehen.
Die schönste Geschichte,
egal in wie vielen Büchern,
wird irgendwann vergessen werden.
Der treuste Freund,
kennt man ihn noch so lange,
wird bald fremd sein.
Das melodischste Lied,
klingt es noch so oft in den Ohren,
muss schon bald verstummen.
Der glücklichste Tag,
in jedem Atemzug ein Genuss,
wird durch die Nacht abgelöst.
Die wärmste Umarmung,
sei sie noch so fest,
muss sich verlieren.
Der wunderlichste Moment,
sei er noch so bedeutend,
wird bald nicht mehr als eine Erinnerung sein.
Doch nach 19 Jahren
weiß ich endlich,
dass auch welke Blumen neu treiben;
brache Häuser renovierbar sind;
Geschichten nie enden;
ein wahrer Freund wiederkehren wird;
ein Ohrwurm nie wirklich verschwindet;
auf jeden Abend, ein Tag folgt;
dass es keine letzte Umarmung geben muss;
und die schönsten Momente noch kommen werden.
Wenn also all das Schlechte
auf dem Weg der Besserung liegt,
warum sollte ich dann im Leid verschwinden,
im Gammeln gehen
und im Vergessen sterben,
wenn ich auch in Glückseligkeit leben kann?
19 Jahre am Leben,
und keines davon gelebt.
Das Zwanzigste im Werden,
ein Traum, der sich im Tage auf mich legt.
Wie lange entkommt man dem Sterben,
ohne das Leben,
ohne aufzugeben?
begonnen am 12.03.2023
Mittwoch
Sitze im Bett,
feiere mich selbst.
Der Spiegel trägt ein glänzend Hütchen.
Hab mich hübsch gemacht, aber niemals schön genug, um geliebt zu werden,
kann den Clown in meinem Gesicht nicht übersehen.
Ich schaue fern,
lese
und schreibe weiter an Dingen, die niemand interessieren.
Noch nie waren meine Gedichte eine Metapher für mich,
waren immer genau,
aber keine Worte können beschreiben,
was dieser Mittwoch mit mir macht,
noch nie war alles so klar.
Wenn Aufräumen das Wichtigste ist,
dann weiß man ja, wie mein Geburtstag verläuft.
Es ist mein 20. Jahr auf diesem Elend und ich verbringe ihn allein,
es ist mein Jubiläum und sie können mir nicht einmal ins Gesicht schauen,
murmeln Glückwünsche an die Decke,
während sie gehen.
Ewig am warten,
es ist erst zehn Uhr.
Wollte verschwinden in die Nacht,
jetzt warte ich darauf, wer mich vergisst.
Als Kind fiel es mir leichter, nicht beachtet zu werden,
dachte nur, ich hätte jetzt Liebe gefunden,
dachte es wäre wohl vorbei.
Habt Ihr gehört, was er gesagt hat?
Nein! Was denn?
„Lern was ordentliches.“
Nein wirklich? Ein Skandal!
Aber natürlich ist es das.
Als ob alles, was ich mache falsch wäre, unrichtig wäre.
Unnütz, wie immer,
wie alles, was ich tue.
Die Musik wird wieder verständlicher,
bin fast am Kuchen erstickt,
keiner hat’s gemerkt.
Rechnungen kommen an, aber keine Wünsche.
Mein Geschenk an mich, passt doch zu diesem Leben,
habe mir gewünscht, allein zu feiern,
aber Einsamkeit kam an.
So fühl ich mich wieder,
kann kaum erwarten, weniger zu bekommen, als erwartet,
aber mehr, als ich verdient hätte.
Das vergessen sie nie, zu sagen.
Tränen löschen die Geburtstagskerzen,
der Kuchen ist verbrannt.
Niemand sieht, wie ich an allem würge, was man mir gibt.
Bilde mir ein, gute Zeilen zu schreiben,
aber was bringen sie, wo doch keiner liest und Bücher hier verbrennen.
Werde wohl spazieren gehen,
weg von all dem Mist,
weg von Klinkenfreunden und Trauerfamilien.
Kann kaum erwarten, wieder zu schlafen,
das kommt dem Sterben am nächsten
und ist das einzige Geschenk, welches meiner angemessen wäre,
darin sind sich so viele einig, die mein Blut teilen.
Machen wir uns nichts vor
20 ist ein Viertel meines Lebens.
Habe gelernt, habe überlebt.
Jetzt kommt der nächste Schritt,
hätte nie gedacht, so große Schuhe kaufen zu müssen.
Vielleicht trage ich deswegen noch die Klamotten von damals, die Klamotten von ihr.
Lasst mich alle gehen,
wenn ich Euch so unwichtig bin, dass Ihr mich hier vergesst.
Bin ich zu streng mit ihnen?
Nein, so haben sie es stets mit mir gehalten.
Und warum sollten sie nicht ihre eigene Medizin kosten,
wo ich doch von ihren Heilungen krank wurde.
Sie werden es nicht verstehen,
werden mit Entsetzen über all das hier lästern.
Aber das tun sie sowieso,
vielleicht fangen sie ja an, meinen Worten zu glauben.
Ich beiße ab von dem Kuchen,
der eigentlich ein Muffin ist.
Denn eine ganze Torte nur für mich,
das lohnt sich doch nicht.
begonnen am 17.04.2024
Ihr seht die unterschiedlichen Gefühle deutlich, die dasselbe Ereignis hervorbringen können.
Nun muss ich ehrlich sein und eingestehen, dass geplant war, einen dritten Text heute vorzustellen, der sich mit meinem diesjährigen Geburtstag beschäftigt.
Leider habe ich noch nichts ansprechendes zustande bekommen. Vielleicht, wenn die Gefühle eingesickert und Blumen daraus entsprossen sind, werde ich Euch einen solchen Text geben können.
Bis dahin
~ Aramis
Comments